Neurochirurgie für den Raum Köln klärt auf
RAUM KÖLN. Die Zahl der Diagnosen eines Angioms, medizinisch als arteriovenöse Malformation (AVM) bezeichnet, steigt. Galt sie in früheren Jahren als seltene Erkrankung, wird sie heute durch moderne Bildgebungsverfahren häufiger diagnostiziert. „Bei einem Angiom handelt es sich um eine Art Kurzschluss zwischen Arterien und Venen im Gehirn“, erklärt Prof. Dr. med. Veit Braun, Chefarzt der Neurochirurgie am Diakonie Klinikum Jung-Stilling in Siegen. Hier werden auch Patienten aus dem Großraum Köln mit Angiom behandelt und betreut.
Das Angiom ist ein angeborenes Gefäßknäuel aus Blutgefäßen, denen in der Regel die Muskelschicht fehlt und die dadurch sehr dünn sind. Die Gefahr, dass sie platzen, ist relativ hoch. Häufig bleibt ein Angiom über Jahre hinweg unauffällig. Sie können jedoch eine Gehirnblutung oder epileptische Anfälle auslösen. Dabei wird dem umliegenden Gehirn Blut entzogen, was als sogenanntes Steal-Phänomen bezeichnet wird. Eine Blutung ist ein lebensbedrohliches Ereignis. Von einem auffälligen Angiom betroffen sind häufig jüngere Patienten oder Frauen in der Endphase einer Schwangerschaft.
Diagnose Angiom – und jetzt? Antworten aus der Neurochirurgie für den Einzugsbereich Köln
Wie häufig wird ein Angiom diagnostiziert? Derzeit zeigen sich in Deutschland etwa 1.100 Erstdiagnosen. Etwa 400 Malformationen fallen durch eine Blutung auf. Rund 700 Angiome werden im Rahmen einer Kopfschmerz- oder Epilepsie-Abklärung durch bildgebende Verfahren entdeckt. Hierbei kommt vor allem die Angiographie als diagnostischer Standard zum Einsatz. „Wird ein Angiom diagnostiziert, stellt sich die Frage, ob Kopfschmerzen oder Krampfanfälle tatsächlich auf die arteriovenöse Malformation zurückzuführen sind und natürlich, wie hoch das Blutungsrisiko ist“, schildert Prof. Dr. med. Veit Braun. Von 100 Patienten mit Angiom erleidet etwa einer eine Blutung. Diese Wahrscheinlichkeit muss in die Risikobewertung und die Therapieentscheidung mit einfließen. Denn auch von einer Operation geht ein nicht unerhebliches Risiko aus. Und dieses Risiko übersteigt das der Rupturgefahr eines Angioms erheblich. Bei etwa zehn Prozent der neurochirurgisch therapierten Angiom-Patienten bleiben neurologische Beschwerden nach der Operation. In Frage kommen dabei folgende Therapieverfahren:
• Endovaskuläre Embolisation
• Neurochirurgische Entfernung
• Stereotaktische Radiotherapie.
Patienten mit nichtruptiertem Angiom im Raum Köln auch psychisch stabilisieren
Neurochirurg Prof. Dr. med. Veit Braun stellt heraus, dass vor allem bei großen Angiomen das Therapierisiko in keinem Verhältnis zum Nutzen steht. Insbesondere die Gefahr, dass Patienten nach der OP eine halbseitige Lähmung (Hemiplegie) entwickeln, überwiegt das Risiko einer Spontanblutung des Angioms.
Diese Erfahrung bestätigt auch eine internationale Studie mit dem Titel „Medical management with interventional therapy versus medical management alone for unruptured brain arteriovenous malformations (ARUBA): final follow-up of a multicentre, non-blinded, randomised controlled trial“ (1), die im Fachmagazin „The Lancet“ publiziert wurde. Die Studie bezog sich auf die ARUBA-Langzeitstudie, die an 39 klinischen Zentren in neun Ländern durchgeführt worden war. Einbezogen in ARUBA waren Erwachsene älter als 18 Jahre, bei denen eine unrupturierte arteriovenöse Malformation im Gehirn diagnostiziert wurde, die noch nie einer interventionellen Therapie unterzogen wurden und von den teilnehmenden klinischen Zentren als geeignet für eine Intervention zur Beseitigung des Angioms angesehen wurden.
Die ARUBA-Studie war zu dem Ergebnis gekommen, dass die alleinige medikamentöse Behandlung (bei neurologischen Störungen wie z.B. Anfällen) der Kombination aus konservativer (medikamentöser) Behandlung und interventioneller Therapie (OP, Embolisation, Bestrahlung in jedweder Kombination) bei der Verhinderung von symptomatischen Schlaganfällen oder Todesfällen überlegen war. Doch gilt dies auch über einen längeren Zeitraum? Dieser Frage gingen die Forscher rund um Prof. J. Mohr nach. Ihre Daten konnten nach einer verlängerten Nachbeobachtungszeit bestätigen, dass die medikamentöse Behandlung allein nach wie vor der interventionellen Therapie mit Blick auf das Todesrisiko bzw. die Gefahr, einen Schlaganfall zu erleiden bei Patienten mit einer unrupturierten arteriovenösen Malformation im Gehirn überlegen war.
Die aktuelle Leitlinie zur Behandlung von Angiomen spricht sogar von einem hohen Risiko der interventionellen Therapie. „Auch wenn die Übertragbarkeit der Ergebnisse aus der ARUBA Studie weiterhin kontrovers diskutiert wird, zeigt sie klar, dass in jedem Fall die Indikationsstellung zu einer invasiven Therapie nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Analyse und interdisziplinär abgestimmt erfolgen muss“, stellt Prof. Dr. med. Veit Braun heraus. Die Leitlinie empfiehlt: Patienten, bei denen eine zerebrale AVM nachgewiesen wurde, sollten ein Krankenhaus aufsuchen. Und zwar eine Einrichtung, in der Neurochirurgen, Neuroradiologen und Strahlentherapeuten, zudem Neurologen mit dem Krankheitsbild vertraut sind und interdisziplinäre Behandlungskonzepte verfolgen. Diese Voraussetzungen finden sich im Diakonie Klinikum Jung-Stilling in Siegen.
Fällt die Entscheidung gegen eine Operation, ist die psychische Stabilisierung des Patienten wichtig. Das Wissen um ein Angiom kann Betroffene stark verunsichern. Dennoch: „Patienten mit Angiom sind im Alltag nicht eingeschränkt und müssen sich bei körperlichen Aktivitäten nicht zurückhalten. Denn durch körperliche Belastung steigt die Rupturgefahr des Angioms nicht an“, stellt Prof. Braun heraus.
(1): Mohr, Jay P.; Overbey, Jessica R.; Hartmann, Andreas et. al.: Medical management with interventional therapy versus medical management alone for unruptured brain arteriovenous malformations (ARUBA): final follow-up of a multicentre, non-blinded, randomised controlled trial. In: The Lancet Neurology, July 2020.